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    Pressemitteilung vom 04.04.2025

    Die Chance der Menschlichkeit inmitten des Krieges: Hosenfeld-Szpilman-Preis geht an die Kulturgemeinschaft Borussia

    HANSESTADT LÜNEBURG. - Der Sieg der Mitmenschlichkeit über Gewalt und Gehorsam: Dafür steht der Hosenfeld-Szpilman-Preis als Würdigung der Erinnerungskultur – Gegen das Vergessen, der am Donnerstag, 3. April 2025, gemeinsam von Hansestadt, Universitätsgesellschaft und Museumsstiftung Lüneburg im Audimax der Leuphana Universität verliehen wurde. 

    Die Geschichte der Namensgeber des Preises ist bewegend: Am 17. November 1944 entdeckt der deutsche Wehrmachtsoffizier Wilm Hosenfeld den jüdischen Pianisten Władysław Szpilman in dessen Versteck in Warschau. Anstatt ihn zu erschießen, versorgte er ihn und rettet ihm das Leben. Nach den beiden Männern ist heute der Hosenfeld-Szpilman-Preis benannt, mit dem herausragende Projekte der Erinnerungskultur ausgezeichnet werden. Unter den rund 200 Gästen waren auch die Enkelkinder Alina Szpilman und  Friedhelm Hosenfeld sowie Carl-Peter von Mansberg, der sich leidenschaftlich für diesen Preis eingesetzt hat.

    Kultur des Mahnens und Hinsehens

    Das Kuratorium hat entschieden, den Preis in diesem Jahr der Borussia – Stiftung und Kulturgemeinschaft Olsztyn/ Alleinstein zu verleihen. „Ich bin gleichermaßen froh und dankbar, dass wir heute den Hosenfeld-Szpilman-Preis an die Kulturgemeinschaft Borussia vergeben. Das kulturelle Erbe, das sie pflegen, ist Basis der Werte, die uns tragen“, würdigte Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch die Arbeit der Borussia und betonte zugleich, es müsse neben einer Erinnerungskultur auch eine Kultur des Mahnens und Hinsehens geben. 

    Prof. Dr. Heike Düselder begrüßte als Vorsitzende der Universitätsgesellschaft im Namen des Kuratoriums die Gäste. Sie sagte, der Hosenfeld-Szpilman-Preis sei auch ein Preis der Gegenwart und ein Preis, der in die Zukunft gerichtet ist. Für diesen aktuellen Bezug und einen internationalen lebendigen Austausch zur Erinnerungskultur stehen die diesjährigen Preisträger: Die Nichtregierungsorganisation Borussia bindet insbesondere junge Menschen aus Polen und Deutschland in Projekte ein, die sowohl Wissen über die Geschichte vermitteln als auch demokratische Werte, Zivilcourage und Toleranz in der Gegenwart fördern.

    Gegengewicht zu Rechtsextremismus und Antisemitismus

    Eine bewegende Laudatio hielt Dr. Axel Smend, Sohn eines Lüneburger Widerstandskämpfers und Ehrenvorsitzender der „Stiftung 20. Juli 1944": „Die Borussia sind Bewahrer und Vermittler des kulturellen Erbes und grenzüberschreitend Impulsgeber für einen lebendigen Dialog.“ Er betonte „Borussia entwickelt mit ihrer unermüdlichen Arbeit ein Gegengewicht zu Rechtsextremismus und Antisemitismus.“

    Smend erinnerte auch an das Schicksal derjenigen, die sich den Nationalsozialisten widersetzten und diesen Einsatz, wie sein Vater, mit dem Leben bezahlten: „Sie haben ihren Handlungsspielraum, und war er noch so klein, genutzt.“ Smend sprach im Gegensatz dazu von der "Schuld der Unschuldigen", von denen, die zugesehen hätten mit der Einstellung: "Da kann man nichts machen."

    Immer weniger Zeitzeugen

    Kornelia Kurowska, Vorsitzende der Stiftung Borussia, dankte im Namen der Preisträgerinnen für die Auszeichnung: „Es ist uns besonders wichtig, dass insbesondere junge Menschen aus anderen Ländern die Chance bekommen, einander kennenzulernen und zu verstehen.“ Kurowska mahnte, dass 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges Zeitzeugen, die von ihren Erfahrungen des Nationalsozialismus berichten können, immer weniger werden und das, während zeitgleich wieder Krieg in Europa herrscht. „Wir fragen uns: Wie geht es weiter mit Europa.  Wir bei der Borussia sind der Meinung: Wir brauchen mehr Mut. Mehr Empathie und Menschlichkeit. Und nicht zuletzt brauchen wir Erinnerungen wie die an Hosenfeld und Szpilman. Aber auch weitere, die ihre Geschichten inspirierend und überzeugend weitererzählen. Für den Frieden. Mit Borussia können sie rechnen.“

    Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro

    Der Hosenfeld-Szpilman-Preis wurde zwischen 2005 und 2017 durch die Leuphana Universität Lüneburg verliehen. Die Universitätsgesellschaft setzte sich federführend dafür ein, den Preis wieder aufleben zu lassen, 2023 vergab erstmals ein Kuratorium aus Universitätsgesellschaft Lüneburg, Museumsstiftung Lüneburg und Hansestadt Lüneburg den Preis. Die Auszeichnung ist verbunden mit einem Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro. Finanziert wird der Hosenfeld-Szpilman-Preis vom Rotary Club Lüneburg und der Hansestadt Lüneburg.

    Info

    Die Verleihung des Hosenfeld-Szpilman-Preises 2025 (v.l.): Magdalena Hoffleith (Borussia), Carl-Peter von Mansberg, Kornelia Kurowska (Borussia), Ewa Romanowska (Borussia), Dr. Rolf Johannes (Rotary Club Lüneburg), Ewa Pohlke (Borussia), Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch, Dr. Ties Möckelmann (Rotary Club Lüneburg), Prof. Dr. Heike Düselder (Universitätsgesellschaft).
    Foto: Jan-Rasmus Lippels // Frische Fotografie

    Weitere O-Töne aus den Redebeiträgen:

    Claudia Kalisch, Oberbürgermeisterin der Hansestadt Lüneburg: „Die Würdigung gesellschaftlichen Engagements ist von zeitloser Bedeutung und Notwendigkeit. Und das ganz besonders in Zeiten wie diesen, in denen ganz unverhohlen versucht wird, die Gesellschaft zu spalten. in Zeiten, in denen bereits ganz offen Antisemitismus propagiert wird, in Zeiten, in denen Demokratie infrage gestellt wird. In Zeiten wie diesen - ist Erinnerung notwendig wie nie: Erinnerungs-Kultur und Mahnungs-Kultur.“

    Prof. Dr. Heike Düselder, Direktorin des Museums Lüneburg und Vorsitzende der Universitätsgesellschaft: „Ich bin überzeugt davon: die Jugend hat die Kraft und das Potential, Europa und eine Welt zu retten, die aus den Fugen geraten ist. Und genau da setzt Ihre Stiftung ein, liebe Frau Kurowska: Sie bringen junge Menschen aus Deutschland und Polen zusammen, organisieren für sie Workshops, in denen Zivilcourage und Humanität an erster Stelle stehen, und das gibt Hoffnung. Mit ihnen, diesen jungen Menschen, muss man rechnen."

    Alina Szpilman, Enkelin: „Diese Geschichte zeigt, dass es selbst inmitten des Krieges möglich war, menschlich zu handeln. (…) Es bewies, dass es letztlich nicht das System ist, sondern die Entscheidung eines Einzelnen. Die Begegnung meines Großvaters mit Wim Hosenfeld war eine kraftvolle Anti-Kriegsbotschaft.“ 

    Dr. Axel Smend, Laudator und Ehrenvorsitzender der Stiftung: „Man muss der eigenen, inneren Stimme folgen, um an der entscheidenden Stelle Nein sagen zu können. Um nicht alles mitzumachen, nicht der Masse zu folgen.“

    Pawel Jaworski, polnischer Generalkonsul: „Versöhnung ist nie ein einmaliger Akt, sondern ein Prozess, der über Jahrzehnte dauern kann. Und wir müssen nicht versuchen, das zu ändern. Jede Generation braucht Zeit und reflektiert die Geschichte durch eigene Erfahrungen. Was aber wichtig und unentbehrlich ist, ist das menschliche Engagement auf beiden Seiten, das auf einem ähnlichen Verständnis basiert.  Die Borussia-Stiftung mit ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern verkörpert nach meiner Auffassung genau diese Sicht, indem sie dazu beiträgt, dass Ermland und Masuren als Teil einer europäischen Geschichte verstanden werden können.  Dafür danke ich Ihnen sehr! Sie erhalten den Hosenfeld-Szpilman-Preis in turbulenten Zeiten. Ich bin sicher, er wird Sie stärken und ermutigen, neue Initiativen zu ergreifen!“

    Hintergrund Hosenfeld-Szpilman

    Die Geschichte einer menschlichen Begegnung inmitten des Krieges

    Am 17. November 1944 begegnen sich der deutsche Wehrmachtsoffizier Wilm Hosenfeld und der polnische Pianist Władysław Szpilman zum ersten Mal. Szpilman, Jude, hielt sich in einem Haus mitten im zerstörten Warschau versteckt. Dort entdeckte ihn Hosenfeld. Auf dessen Frage nach seinem Beruf antwortete Szpilman „Pianist“. Daraufhin forderte Hosenfeld ihn auf, etwas auf dem in dem Gebäude befindlichen Klavier zu spielen. Szpilman spielte das Chopin- Nocturne cis-Moll Nr. 20.

    In den nächsten Wochen versorgte der Wehrmachtsoffizier den Juden mit Kleidung, Decken und Lebensmitteln und rettete ihn so vor dem nahen Hunger- und/oder Erfrierungstod. Władysław Szpilman überlebte als einziges Mitglied seiner Familie den Holocaust.

    Geboren am 5. Dezember 1911 als Sohn eines Geigers, studierte Władysław Szpilman Anfang der 1930er-Jahre in Berlin Klavier und Komposition. Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, ging er zurück nach Warschau und setzte sein Studium dort fort. Ab 1935 war er Hauspianist des Polnischen Rundfunks. Sein letztes Konzert spielte er am 23. September 1939. Kurz danach wurde der Sender zerstört.

    Geboren am 2. Mai 1895 als viertes von sechs Kindern eines Dorfschulmeisters, wurde der gläubige Katholik Wilm Hosenfeld Lehrer und leitete ab 1927 eine Volksschule nahe Fulda. Schon im April 1933 schloss er sich der SA an, 1935 der NSDAP. Lange glaubte er der Propaganda. Später setzte er sein eigenes Leben aufs Spiel, um andere zu retten. Hunderte Briefe und Tagebücher sind vom ihm erhalten. Darin nennt er deutsche Soldaten „Bestien“ und den Krieg eine „unaustilgbare Schande“.

    Zu Szpilman sagte Hosenfeld auf dessen Frage, ob er Deutscher sei: „Ja, ich bin Deutscher und schäme mich dafür.“

    Kurz nach Kriegsende hatte Szpilman von Hosenfelds Gefangenschaft erfahren und versucht, ihn zu retten. Aber er wusste seinen Namen nicht und konnte ihm nicht helfen. 1946 nannte Szpilman Hosenfeld den „einzigen Menschen“ in deutscher Uniform, dem er begegnet sei.

    Nachdem er später den Namen seines Retters erfahren hatte, fuhr er 1957 zu der Adresse, die er zu dem Namen herausfand. Dort traf er auf Annemarie Hosenfeld. Sie erzählte ihm, dass ihr Mann Wilm fünf Jahre zuvor im Kriegsgefangenenlager Stalingrad gestorben sei.

    Szpilman erzählte der Witwe seine Geschichte, und Annemarie Hosenfeld erfuhr erst in diesem Moment, dass ihr Mann 1944 einem Pianisten das Leben gerettet hatte.

    Die Kinder und Enkelkinder haben noch heute Kontakt.