Ehrenfriedhof im Tiergarten feierlich neu eingeweiht
HANSESTADT LÜNEBURG. – Für viele war er ein eher unbekannter Ort: der Ehrenfriedhof im Tiergarten, wo die Opfer des schwersten Kriegsverbrechens in Lüneburg bestattet sind. Am Sonntag (23. April 2023) wurde dieser Ort unter dem Titel „Ehrenfriedhof – Opfer der KZ-Häftlingstransporte 1945 im Tiergarten“ feierlich neu eingeweiht. Er wurde über die Jahre behutsam umgestaltet. Informative Text- und Bildtafeln am Rande des Friedhofs machen nun aus dem Ort einen neuen Gedenk- und Lernort in Lüneburg.
Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch begrüßte zu einer öffentlichen Feierstunde bei bestem Wetter interessierte Lüneburger:innen sowie zahlreiche Gäste und Vertreter:innen von Opfer- und Angehörigenverbänden. Darunter auch Yves Le Bris. Der 79-Jährige aus Dijon in Frankreich ist der Neffe eines der auf dem Friedhof Bestatteten. Sein Bericht über seinen Onkel, Antoine Le Bris, im französischen Widerstand aktiv, gab Einblicke, welche ganz persönlichen Spuren Geschichte hinterlässt. Yves Le Bris ist Mitglied der Amicale de Neuengamme.
Martine Letterie, Präsidentin der Amicale Internationale KZ Neuengamme, erläuterte die Verbindungen nach Lüneburg: „Hier liegen KZ-Häftlinge begraben, die ins KZ Neuengamme (transportiert) werden sollten, aber hier ermordet wurden; jüdische Opfer, die bei der Evakuierung des KZ Bergen-Belsen ums Leben kamen, und zwei sowjetische Zwangsarbeiter, die zur Strafe erschossen wurden.“ Die Opfer stammen aus Belgien, Frankreich, Ungarn, Italien, Jugoslawien, Polen und der Sowjetunion.
Bernd Bruhn machte für die VVN-BdA deutlich, dass der KZ-Ehrenfriedhof Tiergarten ein „Sinnbild bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte“ sei. So habe es in den Anfangsjahren nach dem Krieg noch gemeinsame Gedenkveranstaltungen von Opferverbänden und offiziellen Vertretern der Stadt gegeben, doch dann habe sich das offizielle Gedenken mehr auf die Opfer unter den ehemaligen Soldaten verlagert. Erst gegen Ende der 80er/Anfang der 90iger Jahre förderten Forschungen unter anderem der Geschichtswerkstatt einen neuen, bewussteren Blick auf die Geschehnisse und das Erinnern. „An dieser Stelle … zeigt sich wieder einmal, wie wichtig zivilgesellschaftliches Engagement ist, um auch im Bereich einer, nicht nur symbolischen Erinnerungskultur Fortschritte zu erzielen.“
Es gab viele gute Reden zu hören. Schüler:innen der Wilhelm-Raabe-Schule lasen aus Erinnerungen von Zeitzeugen. Das Duo Strings & Voices umrahmte die Veranstaltung mit deutschen und französischen Liedern, wie dem Klagelied der Widerstandskämpfer („La complainte du partisan“) – ein Thema: die große Sorge vergessen zu werden.
Damit eben das nicht passiert, appellierte Oberbürgermeisterin Kalisch (ihre komplette Rede als pdf-Dokument): „Es ist unser aller Aufgabe, diese Orte mit Leben zu füllen und uns immer wieder gemeinsam einzusetzen gegen das Vergessen.“ Sie dankte denjenigen, die die Umgestaltung eingefordert und intensiv begleitet haben. Dazu zählte sie ausdrücklich die Erarbeitung der Texttafeln durch den Arbeitskreis Erinnerungskultur. Mit der Neu-Einweihung werde „ein neues Kapitel der Lüneburger Erinnerungs- und Gedenkkultur“ aufgeschlagen – zu einem Zeitpunkt, zu dem es nur noch wenige Menschen gibt, die aus ihrem eigenen Erleben davon berichten können. „Wir müssen uns fragen: Wie können wir das Unvorstellbare, was damals geschehen ist, auch den künftigen Generationen vermitteln können, damit es nie wieder geschehen kann?“ Der neue Lernort solle helfen, die Erinnerung lebendig zu halten.
Viel Lob erhielten Stadtbaurätin Heike Gundermann und Friedhofsleiter Hans Hockemeyer für ihre behutsame und geduldige Arbeit mit der Umgestaltung, die fortwährende Einbindung der Angehörigen- und Opferverbände. Ein besonderer Punkt war der Rückschnitt der über Jahrzehnte tief im Boden wurzelnden, ausufernden Rhododendren-Büsche – die aber mit Rücksicht auf die jüdische Totenruhe nicht ausgegraben werden sollten. Es gelang einen Weg zu finden. Die Grabreihen sind wieder sichtbar, die Gräber sind nummeriert, die neuen Pflanzen sorgfältig ausgewählt. „Der Platz vor den Grabzeichen wurde vergrößert, so dass Veranstaltungen gut möglich sind. Die Daten auf den Grabzeichen wurden auf Folien gedruckt und können bei neuen Forschungserkenntnissen aktualisiert werden“, erläutert Stadtbaurätin Gundermann.
Prof. Dr. Johann Bronstein, Superintendentin Christine Schmid und Dechant Carsten Menges gestalteten einen interreligiösen Beitrag.
Auf unserer Seite "Opferfriedhöfe" sind nähere Infos und eine Wegbeschreibung zum Ehrenfriedhof zu finden.
Informative Text- und Bildtafeln am Rande des Friedhofs machen aus dem Ort einen neuen Gedenk- und Lernort in Lüneburg. Foto: Hansestadt Lüneburg
Zur Neu-Einweihung des Ehrenfriedhofs trafen sich (von links) Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch, Angehöriger Yves Le Bris, Friedhofsleiter Hans Hockemeyer, Marina Jalowaja (Vizepräsidentin des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Niedersachsen), Moderator Friedrich von Mansberg, Martine Letterie (Präsidentin der Amicale Internationale KZ Neuengamme), Bernd Bruhn von der VVN-BdA, Stadtbaurätin Heike Gundermann und Reimer Möller (KZ-Gedenkstätte Neuengamme). Foto: Hansestadt Lüneburg
Marina Jalowaja, Vizepräsidentin des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Niedersachsen: „Ich habe die Veranstaltung als sehr bewegend und sehr würdig empfunden habe.“ Zur Umgestaltung: „Der Ort kam mir zuvor gesichtslos vor, er lud nicht ein zum Mitfühlen. Jetzt ist es wirklich ein würdevoller Ort des Gedenkens.“
Prof. Dr. Heike Düselder, Direktorin des Museums Lüneburg: „Denkmäler und Gedenkstätten müssen heute auch Lernorte sein. Sie sind Zeitzeugen, die erklärt werden müssen, um zu verhindern, dass Missverständnisse, Abwertungen oder Fehldeutungen mit ihnen in Verbindung gebracht werden. – Der Eisenbahnwaggon im Museumspark steht symbolisch für das furchtbare Verbrechen, das noch in den letzten Tagen des Krieges in Lüneburg geschah, und er ist unmittelbar verbunden mit dem Ehrenfriedhof im Tiergarten.“
Yves Le Bris, Neffe eines der Bestattenen und Mitglied der Amicale de Neuengamme. Er war das erste Mal 1962 mit der Familie auf dem Ehrenfriedhof (übersetzt aus dem Französischen): „Ich hatte von meinem ersten Besuch hier nur vage Erinnerungen an den Ort selbst. Was mich aber fürs Leben geprägt hat, war die Erinnerung an die untröstliche Verzweiflung meiner Großmutter. Es war für sie so schmerzlich, dass sie nie wieder herkommen konnte.“ Und zur Umgestaltung: „Auch wenn der Friedhof etwas von seiner Intimität verloren hat, die die Familien so schätzten, so hat er doch viel gewonnen an (…) repräsentativem Charakter und an Erklärung für seine Existenz. Er wird nach 80 Jahren zu einem Element der Weiterentwicklung des Ausdrucks des Gedenkens.“
Martine Letterie, Präsidentin der Amicale Internationale KZ Neuengamme: „Die Opfer, die hier liegen, hatten Eltern, Verwandte, Kinder, Freunde. Das Gedenken an diese Opfer ist wichtig, nicht nur für die Nachkommen, sondern auch für die Gesellschaft. Auf diese Weise reflektieren wir darüber, was passiert, wenn die Menschenrechte nicht mehr durch die Rechtsstaatlichkeit geschützt werden.“
Bernd Bruhn, VVN-BdA Lüneburg: „Wir sind heute froh, dass unsere jahrzehntelangen Bemühungen dazu beigetragen haben, wieder einen würdigen Ort des Gedenkens an die Opfer dieses barbarischen Verbrechens im April 1945 zu schaffen. Und diesen Ort als das, was er immer war, wieder kenntlich zu machen: Einen Ehrenfriedhof für die Opfer des deutschen Faschismus.“
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